Die Linie zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Jürg Stäuble. Auch in der aktuellen Ausstellung «Sog» gibt die Linie die Richtung vor. In vier neuen Arbeiten bildet die Linie zwar den Ausgangspunkt, die Bündelung auf einen oder mehrere Fluchtpunkte beziehungsweise das Abbrechen der Strahlen ist dabei jedoch genauso zentral. Stäubles graduelle Verschiebungen geometrischer Grundformen entwickeln ihre Anziehungskraft und Sogwirkung auf ganz unterschiedliche Weise.
Von der Decke hängend verjüngt sich radiant konisch nach oben hin. Das schwebende Objekt lässt den Blick jedoch ins Leere laufen, die Kegelspitze ist eine Leerstelle. Die fragmentarisch um einen Kegel angeordneten Stahlrohre von gleicher Länge, fransen sowohl nach oben wie nach unten aus. Es entstehen Assoziationen von im Weltall schwebenden Raketenelementen.
Auf dem Boden platziert wirkt radiant eck wie das Gegenstück zur schwingenden Skulptur. Diesmal dient nicht der Kegel als Ausgangsform, sondern eine dreieckige Pyramide. Durch ihre Platzierung nimmt die spitz zulaufende Dreiecksform situativ die Raumecke auf. Bei genauerer Betrachtung fallen die Verbindungsstücke der einzelnen Rohre ins Auge. Einem Notentext gleich tanzen sie über die drei Seiten der Skulptur. Die dabei entstehenden Muster ziehen den Blick einem Sog gleich in die Installationen hinein. Kurz vor dem Fluchtpunkt bricht das Strahlenbündel jedoch jäh ab.
Der Arbeitspraxis des Künstlers ist ein konstruktives und minimales Formenrepertoire eigen, subtile Irritationen sind dabei durchaus beabsichtigt. Fragmentarische Verweise auf grössere Ordnungssystem fallen dabei auf. Mit cut off, einer 8-teiligen Wandarbeit, verweist Stäuble auf ein solches. Basierend auf einem Kubus, schneidet er alle acht Ecken des Würfels heraus und ordnet sie in drei horizontale Reihen. Massgebend dabei ist die konzeptuell-geometrische Seitenteilung des Würfels, woraus sich die jeweils dreiteiligen Einzelecken formen. Sichtbare und nicht sichtbare Elemente ergeben sich durch die strenge Geometrie und Stäubles klar definierte Spielregeln.
Bei Ovale gefächert folgt die Untersuchung der Linie nur vordergründig einer anders gearteten Gesetzmässigkeit. Ausgehend von drei identisch geformten Aluminiumscheiben ist die Linie dieses Mal nicht herausgearbeitet, sondern eingeritzt. Einem Fächer gleich sind regelmässige über die Platte gezogenen Linien eingekerbt. Je Scheibe treffen sich diese in unterschiedlichen Bündelungspunkten im Leerraum. Beinahe plastisch bewegen sich die Aluminiumscheiben durch die Bewegung der Betrachter und der Brechung des Lichts. Organische Muster gehen in einen unendlichen Horizont über und evozieren Assoziationen von Naturereignissen. Die Präsentation «Sog» in der Galerie Mark Müller bündelt die Linie mal schroff, mal parallel und manchmal erscheinen die Linienkompositionen raumbildend, bevor sie sich wieder verflüchtigen.
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