13.4.– 1.6.2019
Galerie Mark Müller
Reto Boller
«Einmal täglich»
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Wie eine Dosierungsangabe liest sich der Ausstellungstitel von Reto Bollers Präsentation «Einmal täglich». Die aktuelle Ausstellung in der Galerie Mark Müller bietet die Gelegenheit, Einblicke in die neusten Arbeiten von Reto Boller zu erhalten. Erstmalig findet ein fliegender Ausstellungswechsel statt und das gleich in doppelter Form. Beginnend mit Bollers Vernissage, wird Joachim Bandaus «Fifty Years Ago» um zwei Wochen verlängert. Eine Rochade im Garagenraum folgt; Bandaus Kölner Spritze wandert zum Fenster während Bollers installative Arbeit B-18.1 (bereitgestellt) die gegenüberliegende Wand einnimmt. Der zweite Situationswechsel stellt sich mit der neuen Ausstellung im Juni ein, die sich dem Thema Malerei widmet. Neben B-18.1 (bereitgestellt) werden nun malerische Positionen aus dem Galerieprogramm zu sehen sein.
Reto Bollers Arbeiten sind an der Schnittstelle von Malerei, Skulptur und Installation anzusiedeln. Seine genre- und materialübergreifende Arbeitspraxis verbindet Fragen der Körperlichkeit, der bildnerischen Medien aber auch der Wahrnehmung miteinander. Häufig verwendet er dabei Werkutensilien aus dem Baumarkt. Die Übersetzung von Objekten aus dem Alltagsgebrauch in einen künstlerischen Prozess verliert dennoch nie ihren Rückbezug zur realen Gegenstandswelt. Die Unmittelbarkeit der Arbeiten äussert sich in der Sichtbarkeit der Materialien, der Verarbeitung und im Offenlegen der Struktur.
Im Eingangsbereich eröffnet S-19.2 (Pioniermaterial) die Ausstellung. Auf einer Wandschlauchhalterung sind Schläuche aufgerollt an deren Ende ein Beil befestigt ist. Pioniermaterial nennt man das Werkzeug der Rettungsdienste und Ersthelfer. Bollers Pioniermaterial ist jedoch keineswegs für den Einsatz gedacht, es widerläuft die zweckgebundene Funktionalität vielmehr, um unsere Wahrnehmung auf vermeintlich klar definierte Nutzobjekte zu hinterfragen.
Drei grossformatige Tafelbilder empfangen die Besucherinnen und Besucher in der Blickachse gegenüber dem Eingangsraum, wobei sich die Bildträger bei genauerer Betrachtung als Aluminiumplatten entpuppen. Reliefartig entfaltet Bollers gegossene Malerei ihre Sogwirkung, um im nächsten Augenblick abrupt abzubrechen. Basierend auf Piktogrammen und grafischen Werbebotschaften entwickelt der Künstler daraus ein eigenes Bildprogramm. Aus L-19.1/2/3 (Strömung) erwachsen vielschichtige Bildwelten, mal schimmernd, mal körperhaft, die Grenzen zwischen den Gattungen Malerei und Plastik sind fliessend. SF-19.1 (Schutzanstrich) widmet sich ebenfalls dem Medium Malerei und findet dafür ganz konkrete und alltägliche Bezüge. Aus der realen Dingweltverwendet er blaue Schaumstoffplatten, die mit Acrylkleber aufeinandergeschichtet werden und bildkörperhaft aus der Wand herauswachsen. Die Arbeit wird an der Wand weitergezogen und geht eine Verbindung mit der Architektur ein. Konzise lässt Boller dieVerbindung durch den farblichen Anstrich hervortreten. Die Entwicklung von der Zwei- in die Dreidimensionalität ist in der Werkserie M-19 (Methoden) in vielfältiger Ausführung zu entdecken. Mit Acrylkleber, der gleichzeitig eine funktionale und inhaltliche Funktion übernimmt, bringt Boller Kabel, Metalringe oder Ketten auf Aluminiumblech an. Es ergeben sich verschiedene Hängemethoden oder eben Methoden, die den Bildträger nicht mehr auf seinen lotrechten Kontext limitieren.
Die Beschäftigung mit dem Raum nimmt in «Einmal täglich» eine zentrale Position ein. Wie können Werke innerhalb einer White Cube Situation ihre Eigenständigkeit wahren und sich nicht gegenseitig konkurrenzieren? Boller findet dafür eine stimmige und denkbar einfache Antwort. Mit quer zur Wand angebrachten Holzbrettern unterteilt er die Innenwand in kleine Kojen, was unweigerlich auf die Präsentationsform von Kunstmessen verweist. Die vorliegenden Trennmittel verhalten sich jedoch diametral zu den hochglänzenden und makellosen Kojen einer Kunstmesse. Direkt aus dem Atelier des Künstlers haben die Ausstellungsmassnahmen, wie Boller diese Eingriffe in den Raumnennt, ihren Weg in die Räumlichkeiten der Galerie Mark Müller gefunden. Die Beschriftung fügt sich darin ein. Direkt auf dem Boden platziert oder unmittelbar neben der Arbeit, verweisen sie auf die prononcierten Werktitel. Mit diesen minimalen Eingriffen in den Ausstellungsraum, erfahren die Werke eine neue Form der Präsentationbeziehungsweise eine erweiterte Form der Wahrnehmung.
Bollers Auseinandersetzung mit dem Körperhaften ist in den letzten Jahren in den Fokus seiner Arbeit gerückt. Mehrere Werke der aktuellen Präsentation verhandeln diese Thematik. In AW-19.1 (abgefangen) platziert Boller auf einer Gitterkonstruktion, die an chemische Auffangwannen erinnert, ein Netz mit Holzscheiten und -latten. Diese sind teils mit Metallbeschlägen versetzt, teils einbandagiert, wodurch die körperliche Assoziation noch stärker hervortritt. Ins Netz gegangenen Funkstücken gleich, scheinen die Auffangwannen eine mögliche Feuchtigkeit oder Nässe aufzufangen. Dass die Gitterkonstruktion dabei die Funktion des Sockels übernimmt, fällt erst auf den zweiten Blick auf, da sie wie ein integraler Teil der Arbeit auftritt. Assemblage-ähnlich erzeugen die verwendeten Materialien ein Spannungsverhältnis, weich zu hart, künstlich zu natürlich, Natur zu Industrie. Die textilen ja beinahe taktilen Aspekte der Arbeit werfen Fragen nach körperlicher Versehrtheit auf, es drängen sich Bilder von Gliedmassen auf. Wie sind sie in das Netz gekommen und wo wurden sie abgefangen? Lesarten zu Ereignissen der jüngsten Vergangenheit stellen sich im Bewusstsein ein.
Die Ausstellung «Einmal täglich» eröffnet den Dialog zwischen Material, Form und Farbeund verortet diesen ganz konkret in der Gegenstandswelt. Der Ausstellungstitel, ein ritualisierter Ablauf, der einmal täglich stattfindet, kann gleichzeitig als alltäglicheHandhabung des Kosmos Kunst verstanden werden. Durch Bollers präzise Präsentationsmassnahmen erhalten die Werke eine gewisse Autonomie innerhalb der Ausstellung, Verbindungen und Verknüpfungen untereinander gehen dabei keineswegs verloren. Eine zusätzliche Verbindung oder vielleicht sollte man es Wahlverwandtschaftnennen, stellt sich zu Joachim Bandau ein. Die Überschneidung der beiden Ausstellungen lässt zwei künstlerische Werke aufeinandertreffen, deren Zugewandtheit spürbar ist. Man darf auf das Zusammenspiel des zweiten Situationswechsels im Juni gespannt sein.
barbara.ruf@gmx.net