25.10.2019
Galerie Malte Frank
Pierre Schwarzenbach
«Der Postkonkrete Weg»
VERNISSAGEREDE
Ich war sehr gespannt die Arbeiten von Pierre in seinem Atelier in Augenschein nehmen zu dürfen. Von Bildern her kannte ich seine Werke bereits, eine Begegnung im Original übertrifft jedoch jedes Abbild. Insbesondere für die Bilder des Künstlers Pierre Schwarzenbach trifft diese Aussage zu. Erst im Original offenbaren die Werke eine Oberflächenbeschaffenheit, deren Mehrschichtigkeit im wahrsten Sinne vielschichtige Strukturen offenbart: Von Werkgruppen, die mit Graphit bearbeitet wurden, über die Verwendung von Ähren und Halmen, bis hin zum Einsatz von Blattgold. Schwarzenbachs Umgang mit reinen Farbpigmenten, ihr wiederholter Auftrag auf die Leinwand und die Beimischung weiterer natürlicher Materialien lässt eine Tiefenwirkung entstehen, die die Arbeiten direkt in den Raum treten lässt. Schwarzenbachs virtuoser Umgang mit Farben und Oberflächen überrascht nicht. Über mehrere Jahrzehnte war er in der Textilbranche tätig. Seine Entwürfe und Stoffkollektionen fanden Eingang in Haute Couture Kollektionen und Modehäuser. Sein Umgang mit Oberflächen entwickelt bei längerer Betrachtung eine haptische Qualität, beinahe eine Art Stofflichkeit.
Vorherrschend in Pierre Schwarzenbachs Werk sind geometrische Formen: Kreis, Rechteck, Dreieck und Quadrat. Dieses Formenrepertoire orientiert sich stark an der Konkreten Kunst, einer Kunstrichtung, die von einem streng geometrisch angelegten Werkzeugkasten ausgeht. Die einzelnen Elemente dieses Werkzeugkastens wie etwa Farben, Formen und Linien sollen nicht die gegenständliche Welt abbilden, sondern nur die Elemente selbst und ihr Zusammenspiel. Verknüpft wird die formale Ästhetik mit der Loslösung von der subjektiven Wahrnehmung, hin zu einer Darstellung objektiver Beziehungsverhältnisse.
Die Dreiecksbeziehung Künstler, Betrachter und Kunstwerk wird dadurch grundsätzlich in Frage gestellt, da das Kunstwerk nicht mehr einen real existierenden Gegenstand abbildet, sondern vielmehr das dargestellte Objekt selbst. Dieser ontologische Ansatz, also die Auseinandersetzung mit den Strukturen der Wirklichkeit, wirft das Kunstwerk auf sich selbst zurück, und damit auch die Betrachterinnen und Betrachter.
«Der Postkonkrete Weg», die aktuelle Ausstellung in der Galerie Malte Frank, nimmt diesen Faden wieder auf und überführt ihn ins Heute. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff postkonkret? Ist es bloss eine zeitliche Verortung, also das lateinische ‘post’ für nachher, danach, später, oder handelt es sich um eine ästhetische Verortung, sprich eine Ästhetik, die sich der Konkreten Kunst bedient? Um diesen Fragen nachzuspüren, bedarf es einer näheren Betrachtung der Idee der Konkreten Kunst.
Der Begriff Konkrete Kunst taucht erstmalig bei Theo van Doesburg 1930 auf. Der Terminus war jedoch keineswegs neu, sondern beruhte auf den künstlerischen Positionen des Konstruktivismus. Diese künstlerische Entwicklung setzte bereits 1915 ein. Kasimir Malewitschs Das schwarze Quadrat auf weissem Grund aus eben jenem Jahr, bildete den Startschuss für die Auseinandersetzung mit der geometrischen Abstraktion. Diese Ikone der Moderne bildete den Ausgangspunkt und gleichzeitig Meilenstein der neuen Kunstrichtung. Piet Mondrian entwickelte die künstlerische Position mit Rasterstrukturen und der Verwendung der Primärfarben Rot, Blau, Gelb und der Nichtfarben Schwarz und Weiss stilistisch weiter. Die Zürcher Konkreten um Max Bill hingegen bedienten sich eines strengen Formenkanons. Ab Mitte der 30er Jahre erfuhr die Konkrete Kunst insbesondere in der Schweiz eine starke Verankerung und prägt den künstlerischen Diskurs im Land.
Max Bills Ausführungen zur konkreten Idee hörten sich folgendermassen an:
„konkrete kunst nennen wir jene kunstwerke, die aufgrund ihrer ureigenen mittel und gesetzmässigkeiten - ohne äusserliche anlehnung an naturerscheinungen oder deren transformierung, also nicht durch abstraktion - entstanden sind. [...] konkrete malerei und plastik ist die gestaltung von optisch wahrnehmbarem. ihre gestaltungsmittel sind die farben, der raum, das licht und die bewegung. durch die formung dieser elemente entstehen neue realitäten. vorher nur in der vorstellung bestehende abstrakte ideen, werden in konkreter form sichtbar gemacht.“[1]
Die Rezeption der Zürcher Konkreten erfuhr durch Max Bills theoretischen Schriften eine starke Prägung. Die konkrete Idee wurde auf eine rationale und mathematische Formensprache reduziert, die keinen Platz für Unbewusstes oder Sinnlichkeit liess. Bis in die heutige Zeit haftet der Konkreten Kunst daher eine gewissen Humorlosigkeit an. Völlig zu Unrecht wie mir scheint, denn diese Kunstrichtung ist wie keine Zweite auf das sinnliche Erleben angewiesen. Das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente verlangt von den Betrachterinnen und Betrachtern kein Vorwissen, sondern setzt deren unmittelbare Unvoreingenommenheit voraus.
Pierre Schwarzenbachs Werk fügt sich in diesen ideengeschichtlichen Kanon der Konkreten Kunst. Seinen Bildern haftet nicht die mathematisch-rationale Distanziertheit der Zürcher Konkreten an. Vielmehr liegt seinen Kompositionen eine innere Ruhe und Lust am Experiment zugrunde. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass ein Teil der ausgestellten Werke in den letzten Jahren entstanden ist.
Elliptic circle von 2009 verbindet zwar geometrische Formen miteinander, beschränkt sich aber keineswegs darauf. Die eingangs erwähnte Oberflächenstruktur in Pierre Schwarzenbachs Werk ist auch hier zu finden. Der Grossteil des Bildes wird von einer elliptischen Form eingenommen, die über den Bildträger hinausreicht. Darin eingebettet ist ein Kreis, Ton in Ton, der sich in seiner Materialität von der Ellipse abhebt. Die beiden Figuren reiben sich aneinander, Schwingungen entstehen. Die haptische Struktur der geometrischen Elemente scheint bei längerer Betrachtung ineinander zu verschmelzen, ja gar zu rotieren. Am rechten unteren Bildrand erdet eine Dreiecksform die Ellipse. Die beiden Formen verweisen aufeinander beziehungsweise verorten die jeweilig andere.
Im rechten Winkel zu elliptic circle leuchtet ein mit Blattgold überzogener Tondo. Eine Kugel hängt bildmittig vor dem runden Bildträger. Auf Bewegungen reagierend nimmt die Kugel diese entsprechend auf und schwingt sachte nach. Das Werk golden universe II scheint auf die direkte Nachbarschaft abzustrahlen und diese zum Oszillieren zu bringen. Die matte Goldstruktur des Tondos zieht den Blick ins Bild hinein, Schicht um Schicht offenbart das Zentrum des Universums seine Tiefe.
Das monochrome Triptychon «more than white X» lenkt die Betrachterinnen und Betrachter zurück auf die konkrete Formensprache. Ein in der Bildmitte platziertes vertikales und weisses Rechteck ist in den weissen Bildträger eingebettet. Die kontemplative Anordnung wirkt als Ruhepol. Erst das Einsinken in das dreiteilige Werk lässt feine Verschiebungen wahrnehmbar werden. Auch hier bewegt sich Pierre Schwarzenbach auf Malewitschs Spuren, der sich bereits in den 1910er Jahren mit Monochromie beschäftigte.
Mit new natural IV und new natural V zeigt uns der Künstler seine beiden aktuellsten Arbeiten. Bei meinem Besuch in Pierres Atelier standen sie noch auf der Staffelei. Erste zaghafte Richtungen waren sichtbar, das endgültige Werk präsentiert der Künstler nun zum ersten Mal. Die zweifarbigen Werke wenden sich verstärkt der gegenstandsbezogenen Wirklichkeit zu. Zarte Federn, einer nach oben verlaufenden Bewegungsstruktur gleich, platziert der Künstler auf einer Bildhälfte. Die Verwendung von kräftigen Farben, setzt klare Akzente. Die flächige Zweiteilung der Bilder und die Positionierung der Formelemente, verorten new natural IV und V in der Gegenwart.
Mit «Der Postkonkrete Weg» zeigt Pierre Schwarzenbach die Weiterentwicklung der konkreten Idee auf und überführt sie in einen zeitgenössischen Kontext. Die gezeigten Werke präsentieren anhand von Formen, Farben, Linien und Licht die mannigfaltigen Möglichkeiten einer konstruktiven Denk- und Malweise. Die grosse Bandbreite in Pierre Schwarzenbachs Oeuvre spiegelt nicht nur seinen Schaffensdrang als Künstler; vielmehr zeigt sie auf, dass die Konkrete Kunst auch heute von ihrer Aktualität nichts verloren hat.
[1] Max Bill, konkrete kunst, 1936.
barbara.ruf@gmx.ch